Es mag Menschen geben, die solch eine Bastelei sinnlos finden. Sie verwechseln Sinn mit Zweck. Zweckmäßig ist die verwegene Konstruktion von Magnus Kuhn eher nicht. Sinnvoll schon. Weil es dem (Lebens-)Künstler Spaß macht, ausgemusterte Teile zu funktionierenden Maschinen zusammenzubauen. Weil der schräge Bügel-Flügel-Vogel jedem ein Lächeln ins Gesicht zeichnet. Lächeln ist sinnvoll.Der Würzburger hat das Konstrukt aus einem ehemaligen Feuerwehrauto geholt. Der rote Ford-Kleinbus, Baujahr 1960, kutschiert Kuhn und seine Objekte zu diversen Performances. Jetzt parkt der Transit in einem Würzburger Stadtteil zwischen landwirtschaftlichen Gebäuden. Kuhn öffnet ein Scheunentor, und die Nachmittagssonne wird blitzend von einer großen, verchromten Raute reflektiert – dem Markenzeichen der Borgward-Werke.
Automobile Rarität
Als der Borgward Hansa, den Magnus Kuhn vor 44 Jahren für kleines Geld kaufte, 1953 die Werkshallen des Autobauers in Bremen verließ, waren Chrom-Applikationen „in“. Neben dem Logo spiegeln auch Stoßstangen, Zierleisten und Lampenringe und setzen einen hübschen Kontrast zum vornehm-schwarzen Lack des Mittelklassewagens.
Magnus Kuhn setzt sich hinters Lenkrad mit den kultigen Metallspeichen, um den Wagen zu starten. Das dauert. Denn unter der Motorhaube steckt ein Diesel. Seinerzeit musste man Selbstzünder vorglühen. Lange vorglühen. Dann nagelt der alte Vierzylinder sein hartes Stakkato in die moderne Welt. Als Diesel ist der Hansa eine Rarität. Keine zehn Stück soll es europaweit noch geben.
Kuhn steigt aus – die Tür fällt mit einem blechernen Knall ins Schloss – und beteuert: „Ich bin kein Oldtimer-Fan.“ Ja aber . . . der Ford, der um die Ecke steht? Und der Borgward? Und der nicht zu übersehende, befriedigte Blick, mit dem der Besitzer die üppigen Formen des Hansa mustert? „Ich arbeite einfach gerne mit Mechanik. Mechanik ist sinnlich.“
Null Elektronik
Wenn mechanische Bauteile ineinandergreifen, wenn es klappert und klickert und schnauft, wenn alles flutscht und rund läuft, gerät jeder Fan in Ekstase. Weil er geradezu spüren kann, warum sich etwas bewegt und wie. Moderne Autos sind vollgestopft mit Elektronik. Da gehen auf der einen Seite Kabel in schwarze Kästen hinein, andere Kabel kommen auf der anderen Seite heraus. Im Inneren wuseln Elektronen. Wie, warum und wohin – wer begreift das schon?
Zu Zeiten des alten Carl Friedrich Wilhelm Borgward (1890 bis 1963), dessen populärstes Auto die Isabella war, gab's keine Elektronik. Beim Hansa arbeitet selbst die Kraftstoffeinspritzung mechanisch.
Magnus Kuhn, Jahrgang 1951, hat LKW-Schlosser gelernt. „Der erste Beruf geht seelisch tief rein“, philosophiert der Mann, der später Mathematik, Physik und Geologie studierte, den Doktortitel erwarb, Studenten ausbildete, und „in Mexiko ein bisschen nach Öl und Wasser“ bohrte. Sehr sinnvoll, würden manche sagen. Der kreative Magnus Kuhn fand das nicht, fühlte sich in zu viele Zwänge gezwängt, quittierte dem Dienst und machte sich als Künstler selbstständig. Für ihn eine sinnvolle Entscheidung.
„Arbeiten für nichts“
Vielleicht weil sein erster Beruf so „tief rein“ gegangen ist, arbeitet der aus dem Landkreis Konstanz stammende Kuhn auch als Künstler mit Mechanik. Der Ex-Feuerwehr-Transit birgt neben dem Bügelvogel auch das „Fränkische Weinall“, ein Modell des Sonnensystems, in dem Bocksbeutel wie Planeten kreisen. Oder den spielzeuggroßen Panzer, der statt einer Kanone eine Luftrüssel-Tröte trägt und ziemlich lächerlich quäkt. In der Scheune, in der der Borgward parkt, parken auch drei Förderbänder, die sich, in immerwährendem Kreislauf, gegenseiteig vollschütten. „Working for nothing“, Arbeiten für nichts, heißt dieses Objekt, das nicht zweckmäßig ist, ganz im Gegenteil, aber als Satire auf die moderne Arbeitswelt sinnvoll.
„Schrotten“ nennt der Mechanik-Künstler das Zusammensetzen von Teilen zu sich bewegenden Objekten. „Es macht mich ruhig“, sagt der „ehrwürdige Greis“ (Kuhn'sche Selbstironie), für den zeitweilig ein Autogenschweißgerät wichtiger war als eine Freundin. „Wenn ich nachts wach liege, denke ich nach“, erzählt er über den Ursprung so mancher Idee.
Schalten als Erlebnis
Dann wird gefahren. Tapfer und geräuschvoll hangelt sich der Diesel ein paar Tausend Umdrehungen nach oben. Die 42 PS in dem 1,2 Tonnen schweren Hansa wirken erstaunlich munter. Im ersten Moment jedenfalls. Magnus Kuhn hievt den Schalthebel am Lenkrad vom zweiten in den dritten Gang. Die weit ausholende Bewegung von vorne-unten nach hinten-oben lässt selbst den Beifahrer nahezu körperlich spüren, wie Hebeleien, Klauen und Muffen die Zahnräder im Viergang-Getriebe in Position schieben. Ein Erlebnis! Der Blick fällt durch die geteilte Frontscheibe über die gerundete Haube und die gerundeten Kotflügel. Auch das 50er-Jahre-Design hat was Sinnliches.
Kuhn fährt und schaltet und macht und wirkt zufrieden inmitten von rotem Kunstleder, Chrom (auch hier!) und elfenbeinfarbenem Bakelit. Vielleicht sogar glücklich.
Der Borgward kommt nur zu besonderen Gelegenheiten aus der Scheune. Magnus Kuhn chauffiert damit zum Beispiel Hochzeitspaare. Im Alltag fährt er Zweckmäßiges: einen Peugeot. Der ist mit 28 Jahren freilich auch schon oldtimerverdächtig. Trotzdem sagt Kuhn noch einmal: „Ich bin nicht nostalgisch.“ Tatsächlich ist der Analog-Fan auch digital unterwegs. Er betreibt eine eigene Homepage. Das ist für einen Freiberufler zweckmäßig.